Gedankenanstoß zur Perspektive des wällermarkt.
Von Dipl. Kfm. Jens Hölper, Mitglied der Wäller Markt eG und Handelsexperte.
wällermarkt | 10.03.2024

Mein persönlicher „Gedankenanstoß“ zur Perspektive des wällermarkt.

In Anbetracht der laufenden Berichterstattungen zum regionalen Onlineprojekt „wällermarkt“ und der in diesem Zusammenhang zum Teil leider in der Region auch sehr „pauschalen“ (und m.E. kurzsichtigen) Diskussionen und Kommentierungen, möchte ich gerne einmal einen ganzheitlichen Blick auf dessen strategische Dimension für den Westerwald werfen. Aus meiner Sicht kann man der weitreichenden Bedeutung für die Region nämlich nur gerecht werden, wenn man einmal alle Facetten beleuchtet.

Zu Beginn ist es mir ein Anliegen, einmal die besondere Gesellschaftsform des „wällermarkt“ zu beleuchten, denn dies kommt mir in den derzeitigen Diskussionen viel zu kurz. 

„Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele“.

Dieses inzwischen weltberühmte Zitat des Westerwälders Friedrich Wilhelm Raiffeisen stellt die Ursprungsidee dar, nach der sich der Mittelstand zusammentun sollte, um den Markt nicht nur den großen Unternehmen zu überlassen. Vielleicht ist es daher auch kein Zufall, dass das Projekt wällermarkt in unserer Region entstanden ist. Darauf können und sollten wir stolz sein! Die Genossenschaft wird getragen von engagierten Westerwäldern, einigen Unternehmen und den rund 100 Erzeuger- und Handelsbetrieben, die auf der Plattform aktiv sind. Darüber hinaus ist es eine Besonderheit, dass die Wäller Markt eG von zwei ehrenamtlich (!) tätigen Vorständen geführt wird, weil ihnen ihre Region am Herzen liegt. Beide Herren sind nun in einer sehr mutigen Weise an die Öffentlichkeit getreten und haben die aktuellen Herausforderungen transparent dargestellt. Aus meiner Sicht macht es daher schon einen gewaltigen Unterschied, dass wir hier über die Zukunftssicherung eines zwar nicht de jure, aber de facto gemeinnützigen Unternehmens „von Westerwäldern für Westerwälder“ sprechen!

Darüber hinaus geht es eben nicht einfach um ein regionales Unternehmen, sondern dessen Unterstützung stellt aus volkswirtschaftlicher Perspektive eine niedrigschwellige -und meines Erachtens sehr sinnvolle- Möglichkeit dar, regionale Wirtschaftsförderung „in der Breite“ zu betreiben – denn: die Plattform ist offen für jeden Gewerbetreibenden im Westerwald mit über 500.000 Einwohnern! Es schadet niemandem, nützt aber potenziell jedem in der Region!

Das zukunftsorientierte Geschäftsmodell bietet schließlich aus meiner Sicht eine Reihe von Leistungen, an die sich bislang keine andere Initiative oder Organisation unserer Region herangewagt hat:

Zuallererst stärkt es natürlich die regionale Wirtschaft – denn sämtliche Anbieter kommen aus dem Kern-Einzugsgebiet. Für den stationären Einzelhandel ist dies die wohl einfachste und wirtschaftlichste Möglichkeit, auch online sichtbar zu werden und neue Kunden zu gewinnen – auch von außerhalb des Westerwaldes. Schließlich ist vom Onlineshop über das Datenmanagement und die digitale Vermarktung bis hin zur Abhol- und Lieferlogistik alles bereits gelöst. Je mehr Anbieter mitmachen, umso attraktiver wird das Angebot für die Kunden. Zusätzlich werden Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen und Steuern hier vor Ort gezahlt, weil die Wertschöpfung hier verbleibt und nicht ins Silicon Valley oder nach Fernost wandert! Der Wällermarkt schließt im E-Commerce genau die Lücke, die bundes- und weltweite Plattformen gar nicht lösen wollen: nämlich regionale Lieferanten und Kunden zusammenzuführen.

Nicht zu verkennen ist auch der soziale Aspekt – denn der wällermarkt ermöglicht eine Direktbelieferung (inkl. Kühlkette) an die Haustür z.B. immobiler oder älterer Menschen oder z.B. auch Dorfläden – und zwar mit Produkten und Lebensmitteln aus der Region. In unserer älter werdenden Gesellschaft ist dies sicher schon an sich ein hohes Gut!

Und genauso ist der wällermarkt umweltfreundlich und nachhaltig unterwegs, denn die komplette e-Lieferlogistik ist zu 100% lokal emissionsfrei und ermöglicht, regional erzeugte und gehandelte Produkte direkt zu Konsumenten (oder auch Gastronomen) zu bringen, ohne dass die Ware über irgendwelche Paket-Hubs erst quer durch die ganze Republik transportiert wird. Darüber hinaus erspart der wällermarkt über sein Mehrweg-Verpackungssystem jede Menge Verpackungsmüll.

Was wollen wir also mehr, liebe Westerwälderinnen und Westerwälder? Wollen wir dieses so wichtige Infrastrukturprojekt jetzt wirklich schon „totreden“, bevor es erst richtig gestartet ist? Wieso ergreifen wir alle diese einmalige Chance derzeit nur sehr halbherzig? Und „einmalig“ meine ich tatsächlich wörtlich, denn: wenn der wällermarkt jetzt scheitert, wird es definitiv keine zweite Chance geben, weil es dann niemand mehr anpacken wird!

Perspektivisch kann der wällermarkt zu der zentralen Einkaufs-, Buchungs- und Kommunikationsplattform für alle Wäller werden – mit einer echten Relevanz in der Region und darüber hinaus. Vom Einkaufen regionaler Produkte über die Buchung von Events bis zu Angeboten für Touristen. Damit kann er auch so wichtige Gemeinschaftsangebote wie etwa „wir-westerwaelder.de“ ergänzen und verstärken.

Warum jedoch ist der Wällermarkt derzeit noch nicht (wirtschaftlich) „erfolgreich“? Zu dieser Einschätzung gehört zunächst einmal der richtige Maßstab, nämlich: dass dies ein Marathon würde und kein Sprint, sollte jedem Unternehmer – aber auch jedem politischen Verantwortungsträger – von Beginn an klar gewesen sein! Kein neugegründetes Unternehmen macht vorm Start weg Gewinne, sondern durchlebt in aller Regel erst einmal eine verlustreiche Anlaufphase, an deren Beginn vor allem Investments und Lernphasen stehen... insbesondere dann, wenn man ein Stück Neuland betritt. Dafür war die Kapitalausstattung von Beginn an recht knapp bemessen – insbesondere auch deshalb, weil die gewährten Fördermittel aufgrund der entsprechenden Richtlinien stets erst Wochen und Monate vorfinanziert werden müssen, gleichzeitig aber dafür eine Bankenfinanzierung aus regulatorischen Gründen nicht in Frage kommt; für ein Unternehmen, das Wachstum braucht, eine denkbar schwierige Bürde (und wohl auch eine grundsätzliche Fehlkonstruktion in den Förderprogrammen).

Vor allem liegt die heutige Schwäche aber zuallererst darin begründet, dass dem wällermarkt (noch) die Öffentlichkeit und Bekanntheit fehlt. Das zu lösen ist einzig und allein eine Frage der notwendigen finanziellen Mittel für Marketingmaßnahmen, denn das Invest in Plattform, Prozesse, Logistik etc. ist längst getätigt – es geht nun vorrangig darum, die (digitale wie stationäre) Vermarktung sprichwörtlich „hochzufahren“.

Um genau dieses zu ermöglichen, vermisse ich persönlich aber vor allem eines: ein klares Bekenntnis aus und in der Region! 

Zunächst geht es um ein Bekenntnis der regionalen Händler und Erzeuger: zum einen der heute bereits im wällermarkt „Aktiven“, nämlich für die ausreichende Kapitalausstattung „ihres“ Gemeinschaftsunternehmens, mit dem sie sich de facto für wirklich „kleines Geld“ einen weiteren Vermarktungsweg eröffnen können. Gleichermaßen gilt das aber auch für diejenigen Unternehmer, die immer noch zögern und erst einmal abwarten wie es läuft, statt sich selbst zu engagieren und das Projekt damit auch im eigenen Interesse „groß“ zu machen!

Ebenso vermisse ich aber auch ein klares Bekenntnis aller regionalen politischen Ebenen – von den Kreisen über die Verbandsgemeinden bis zu den Ortsgemeinden selbst, und zwar gemeinsam über alle vertretenen politischen Fraktionen hinweg! Hierbei ist positiv hervorzuheben, dass beispielsweise einige Verbandsgemeindebürgermeister die strategische Bedeutung durchaus erkannt haben und sich hoch engagiert für die Sache einsetzen. Leider gibt es jedoch offenbar genauso viele, die jegliche Unterstützung versagt haben. Vermutlich wird bei dem einen oder anderen gerade auch mitspielen, dass die Kommunalwahlen vor der Tür stehen und man sich in dem Zusammenhang ungern klar für ein solches Projekt positionieren möchte, das auch scheitern könnte? Ehrlich gesagt, schäme ich mich dann für so wenig Rückgrat. Gerade die überwiegende öffentliche „Zurückhaltung“ der Politik insbesondere in dieser angespannten, aber umso wichtigeren Phase für das Projekt, besorgt mich besonders... und macht mich auch ein Stück wütend! Hier gilt es nämlich, jetzt einmal wirklich „Farbe zu bekennen“, denn nichts im Leben ist sicher. Wenn schon Deutschland als Ganzes derzeit wirtschaftlich und politisch gelähmt erscheint, so lasst uns doch stattdessen gerade hier im Westerwald mutig „unser Ding machen“!

Liebe Westerwälderinnen und Westerwälder: es fehlt mir aber genauso auch ein Bekenntnis der Bevölkerung – zu den Händlern und Erzeugern, die in der Region ihre Waren produzieren und vermarkten, die hier Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen! In ihrem eigenen Interesse sollte allen Wällern daran gelegen sein, diese Vielfalt und Regionalität zu erhalten. Hier haben wir jetzt alle die einmalige Chance, etwas direkt vor unserer eigenen Haustüre zu unterstützen, wovon wir alle und auch unsere Kinder und Enkel jeden Tag und nachhaltig profitieren könnten. Aber wieso tun wir es nicht?

Wäre es deshalb nicht z.B. möglich und sinnvoll, über alle kommunalen Ebenen – vom Kreis über die Verbandsgemeinden bis hin zu den Ortsgemeinden – es zu schaffen, in Summe zusammen nur 1 Euro (!) einmalig pro Einwohner aus den Haushalten für diese regionale Wirtschaftsförderung bereitzustellen? Jeder mag sich gerne ausrechnen, welcher Anteil dann am Ende z.B. auf das Dorf oder die Stadt, in der er/sie lebt, gerade einmal anteilig zukommen würde. Eine absolut leistbare Aufgabe, die nur eines braucht: politisches Handeln... mit Rückgrat!

Gleiches gilt aber für uns Bürger selbst: was wäre, wenn auch nur jeder 100. Westerwälder Bürger sich dazu entschließen würde, einmalig einen Genossenschaftsanteil in Höhe von 100 € zu erwerben (das ist heute gerade mal so viel wie einmal mit der Familie Essen gehen – oder 12 Schachteln Zigaretten – oder für 1 Jahr „kostenloser Versand mit Amazon Prime“!)? Neben der Unterstützung der Region hätte man hier sogar noch die Möglichkeit, über seinen Anteil von künftigen Gewinnen der Genossenschaft zu profitieren.

In beiden einfachen Rechenbeispielen kämen jeweils 500.000 € (!) zusammen. Damit wäre das beschriebene Hochfahren in der Vermarktung und der Plattform- und Logistikbetrieb für viele Jahre gewährleistet, zumal dann auch die unter großen Mühen generierten und noch in erheblichem Umfang verfügbaren EU- und Landes-Fördermittel auch wirklich (zum Wohle des Westerwalds) abgerufen werden könnten. Und der wällermarkt hätte eine echte Chance, sich zu entwickeln, sich Stück für Stück selbst zu tragen – und am Ende der Region hoffentlich dann viel mehr zurückzugeben, als einmal in ihn investiert wurde.

Daher haben meine Familie und ich – ganz privat – das Projekt von Anfang unterstützt: ideell, finanziell... und durch wiederholten Einkauf im wällermarkt (… was übrigens hervorragend funktioniert!). Und das vor allem aus einem Motiv heraus: als überzeugte Westerwälder, die ihre Heimatregion lieben und denen deren Zukunft wichtig ist! Ich persönlich möchte mich nicht irgendwann ärgern oder mir nachsagen lassen, dass wir es nicht zumindest versucht haben. Ich würde mir daher wirklich wünschen, dass noch viel mehr Wäller Bürger, Politiker und Unternehmer ebenso denken und dies gleichermaßen tun. Die Zeit dafür ist: jetzt!

 10. März 2024

 Dipl.-Kfm. Jens Hölper


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